Ich verreise wirklich nur äußerst ungern. Aus Sicht des Phantastonauten ist der dazu notwendige Aufwand unverhältnismäßig hoch: Wenn man sich alleine schon überlegt, wieviel Reisezeit notwendig ist, um läppische 5000 Kilometer zurückzulegen und dann noch das ganze Kofferpacken, Parkplatzsuche am Flughafen und und und.
Wieviel einfacher ist es da für mich, abends im eigenen Bett einzuschlafen, kurz darauf in der Traumwelt – der natürlichen Umgebung des gemeinen Phantastonauten - zu erwachen und dann einfach loszufliegen. Ohne Flugzeug. Die Landschaft, die unter mir dahinzieht, ist Teil einer wunderbaren Welt, welche kein Menschenauge vor mir je erblickt hat und ich kann jederzeit landen und es mir aus der Nähe anschauen.
Da sagt einem doch der gesunde Menschenverstand, dass die Alltagswelt-Urlaubsreise wenig Sinn macht.
Für mich hat sich eine weitere aufregende Reisemöglichkeit überraschenderweise seit meinem letzten Abenteuer ergeben: Ein Ritt auf der Schulter eines Riesen. Zugegebenermaßen etwas holpriger als selbst zu fliegen, aber wenn man sich an der dort reichlich sprießenden Vegetation festhält, ist es nahezu völlig ungefährlich. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass man an Orte gelangt, die man sich selbst niemals erträumt hätte.
So auch letztens: Ich wäre ein Lügner, würde ich meine Geschichte nun damit beginnen lassen, dass ich entspannt auf meiner Wolken-Terrasse saß. Es war vielmehr so, dass ich gestresst war, wirklich gestresst, denn mir saß die Zeit im Nacken, die Uhr tickte und das vorherrschende Gefühl war: ich schaffe es nicht rechtzeitig. Was auch immer es war, ich habe den Anlass dafür inzwischen eigenartigerweise vergessen.
Das war der Moment, in dem ich das große und mir inzwischen wohlbekannte, lächelnde Gesicht des Riesen über mir sah. Im nächsten Moment schon saß ich auf der vorhin erwähnten Schulter und die Reise begann.
Leider ging es in eine Richtung, die ich mir weder erträumt noch erwünscht hätte, aber so ist das nun mal mit den Riesen, sie haben ihren eigenen Kopf und der ist sehr hart und die Gedanken hinter ihren Stirnen sind für uns Kleinwüchsige leider schwer verständlich. Auch wenn man ein Phantast ist. Mein Riese war unbeirrbar unterwegs in Richtung Finsteres Schloss auf der anderen Seite des Flusses. Ein mir leider nur zu gut bekannter Ort, an dem ich schon viele unangenehme Stunden verbringen musste (nachzulesen im Logbuch des Phantastonauten, weiter vorn).
Bisher wusste ich aber nicht, wie groß dieses Gemäuer eigentlich ist. Als ich es nun von soweit oben erblickte, wurde mir klar, dass es sich in Wirklichkeit um eine riesige Stadt handeln musste. Die Gebäude erstreckten sich bis zum Horizont und der Riese pflügte mit seinen Riesenschritten mitten hindurch auf selbigen zu.
Der Marsch durch diese Finstere Stadt dauerte sehr lange, doch nach mehreren Stunden erschien am Horizont ein helles Licht, dass schnell größer wurde, je näher wir ihm kamen. Und dann erreichten wir den Rand der Finsteren Stadt.
Schon seit einer ganzen Weile hatte ich ein bedrückendes Gefühl wahrgenommen, welches immer stärker wurde, je weiter wir in die Stadt vordrangen. Der Name dafür war Der Zeitdruck und das schlimme Gefühl wurde nun sehr schnell unerträglich für mich. Der Riese spürte meine Notlage und wusste, dass ich nicht weiterkonnte. Er setzte mich auf dem Dach eines sehr hohen Hauses ab und ging selbst die letzten (Riesen-) Schritte, bis er die Stadtgrenze überquert hatte. In diesem Moment konnte ich plötzlich unser Ziel sehen: Das Land hinter der Zeit. Die Grenze zu diesem Land markierte ein riesengroßer Wecker, welcher aus dieser Entfernung und im Vergleich zum Riesen winzig klein wirkte. Dahinter erstreckten sich Hügel und Berge mit Wasserfällen und Bäumen, alles in überirdisch schönes Licht getaucht. Der Himmel war voller farbiger Wolken und darin meinte ich die Umrisse herrlicher Gebäude zu erkennen. Was für wunderbare Wesen mochten dieses Land bewohnen?
Es war dort so ganz anders als in der Finsteren Stadt.
Doch leider wurde ich inzwischen von dem schier unerträglichen Zeitdruck fast zu Boden gedrückt und der Riese kam zurück, setzte mich auf seine Schulter und wir machten uns auf den Rückweg. Zusätzlich zu dem furchtbaren Gefühl des Zeitdrucks machte sich in mir eine große Enttäuschung breit: Das wunderschöne Land hinter der Zeit schien für mich unerreichbar zu sein.
Wieder daheim am Rand des Nördlichen Waldes brachte der Riese mich zu meiner Wolkenterrasse und setzte mich vorsichtig ab. Mit hängendem Kopf schlich ich entkräftet zu meinem Lieblingssessel als ich plötzlich ein Räuspern hörte. Ich hob den Blick und dann sah ich ihn. Dort auf den Holzdielen meiner Terrasse stand Der Käpt´n.
Und wer dieser geheimnisvolle Fremde war und ob er mir einige meiner Fragen beantworten konnte, das erfahren wir hoffentlich im 2. Teil der Geschichte …